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Demenz und die Macht der Worte

Weckworte: Poetry Slam im Pflegeheim

Kategorie: Diagnose | Aktualisiert am 01.01.2024 | Lesezeit 3 Min.

Dass ein Star der hippen, jungen Poetry-Slam-Szene ausgerechnet in Pflegeheimen auftritt, mag überraschen. Doch Lars Ruppel weiß um die Macht der Worte. Genau darum hat er sein Poesie-Projekt „Weckworte“ ins Leben gerufen – und zeigt, wie Gedichte die Erinnerung von Alzheimer- und Demenzpatienten beflügeln können.

Mit Ringelnatz aus dem Dornröschenschlaf der Demenz

Die meiste Zeit lebt Erika Peters* in ihrer eigenen Welt, fernab vom Hier und Jetzt. Viele Erinnerungen sind ihr im Laufe der Demenz entronnen, jedes Jahr ein Stückchen mehr. Sie wirkt häufig abwesend. Als Lars Ruppel die Hand der Seniorin nimmt und dazu ein Gedicht von Ringelnatz vorträgt, scheint Erika Peters jedoch ganz wach. Als sei sie ihrem Dornröschenschlaf für einen Moment entkommen.

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"So können wir neue Impulse in einem oft sehr tristen Alltag setzen."
Lars Ruppel
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Ruppel nennt es die Macht der Worte – und genau damit kennt er sich aus. Schließlich gehört der gebürtige Hesse zu den erfolgreichsten Poetry Slammern Deutschlands. Es ist eine hippe, junge Szene moderner Poeten, die meist vor einem ebenso jungen und hippen Publikum auftritt. Lars Ruppel hingegen trifft man auch in Pflegeheimen. Weil er davon überzeugt ist, dass Pflege eben nicht nur auf den Körper, sondern auch auf den Geist abzielen sollte.

Weckworte: Ein Poesie-Projekt für Alzheimer- und Demenzkranke

Dass ausgerechnet Gedichte dabei helfen können, eine Verbindung zu Demenz-Patienten aufzubauen, hat Ruppel in einem Workshop des amerikanischen Poeten Gary Glazner gelernt. Eine Idee, die den Poetry Slammer derart berührte, dass er sein eigenes Projekt ins Leben rief: Weckworte – das Poesie-Projekt für Alzheimer- und Demenzkranke. Wie dringend nötig derlei intellektuelle Impulse im Pflegealltag sind, zeigt der Blick in deutsche Heime: Mal ein Liedernachmittag hier, mal ein paar Geburtstagsverse dort – sonst bleibt zwischen Zeitdruck und Pflegegraden, Rollatoren und püriertem Essen meist wenig Platz für Kultur und Poesie.

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Foto: Kompetenzzentrum Demenz in Schleswig-Holstein, www.larsruppel.de

Um Gedichte richtig einzusetzen, braucht es jedoch nicht nur Zeit, sondern auch die richtige Technik. Vor allem der Umgang mit Demenzkranken erfordere viel Sensibilität und Gespür für Stimmungen, erklärt Ruppel. „Wenn jemand traurig ist, muss ich nicht auch noch die ‚Mondnacht’ vortragen.“ Wie auch Pflegekräfte und Angehörige die Macht der Worte nutzen können, erklärt Ruppel darum in seinen Workshops. Dort lernen die Teilnehmer, wie man Demenzkranken Gedichte vorträgt – authentisch und ohne Berührungsängste.

„Am wichtigsten ist, dass man selbst mag, was man vorträgt – dann macht man fast automatisch alles richtig“, sagt Ruppel. Das Repertoire beschränkt sich dabei längst nicht auf altbekannte Klassiker. Moderne Lyrik, Raps, dadaistische Gedichte, aber auch Volkslieder – alles ist erlaubt. „So können wir neue Impulse in einem oft sehr tristen Alltag setzen“, erklärt der Poetry Slammer. Ganz so einfach wie es klingt, ist das aber oft nicht. Viele Teilnehmer koste es anfangs einiges an Überwindung, mit Gedichten zu kommunizieren. Diese Ängste behutsam abzubauen – auch darum geht es in Ruppels Kursen.

Nähe schaffen durch gemeinsames Rezitieren und Singen

Dass es sich lohnt, die eigenen Hemmungen zu überwinden, erfahren die Kursteilnehmer bereits nach dem Theorie-Teil. Dann werden die gelernten Techniken direkt ausprobiert – meist in kooperierenden Pflegeheimen. Viele seien überrascht von dem engen Band, dass sich durch die Verse zu den Pflegebedürftigen knüpfen lässt, berichtet der Poetry Slammer.

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"Manche brechen in Tränen aus, andere lachen und tanzen, wieder andere schlafen vor lauter Entspannung ein. Das ist so vielfältig wie der Pflegealltag selbst."
Lars Ruppel
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Genau diese Erfahrung hat auch Jürgen Nieser gemacht. Der Pressesprecher der AWO Saarland war selbst bei einem „Weckworte“-Workshop dabei. „Alle Bewohner haben auf die Gedichte reagiert – bei einigen ist es gelungen, sie aus ihrer Zurückhaltung und Agonie zu erwecken“, berichtet Nieser. Tatsächlich entstehe durch das gemeinsame Rezitieren und Singen eine besondere Nähe zwischen Pflegern und Bewohnern. Der saarländische AWO-Landesverband setzt die „Weckworte“-Methode darum bereits in zwei Einrichtungen ein – weitere sollen folgen. „Natürlich geht es dabei um viel mehr als um das bloße Vortragen von Gedichten und Liedern. Da werden Emotionen und Erinnerungen zutage gefördert“, weiß Nieser.

Infografik: So können Gedichte und Musik Demenzkranken helfen

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Wie unterschiedlich die Reaktionen auf eben diese Emotionen und Erinnerungen sein können, hat auch Lars Ruppel schon unzählige Male erlebt: „Manche brechen in Tränen aus, andere lachen und tanzen, wieder andere schlafen vor lauter Entspannung ein. Das ist so vielfältig wie der Pflegealltag selbst “, sagt er. Alles in allem sind es vor allem berührende Szenen – so wie der Moment, als Erika Peters zum Klang von Ringelnatz’ Versen für einen Moment aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Gedichte – die lassen eben niemanden kalt.

*Name von der Redaktion geändert

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