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Wenn du nicht unterschreibst, musst du ins Heim.
Kategorie: Pflege zu Hause | Aktualisiert am 01.04.2021 | Lesezeit 8 Min.
Nach dem Tod der Mutter setzt der Bruder von Harald G. den pflegebedürftigen Vater unter Druck, um an sein Erbe zu kommen. Die Geschichte ist kein Einzelfall: Bei jeder fünften Erbschaft gibt es Streit.
Harald G. hatte stets ein enges Verhältnis zu seiner Familie: Den Bruder, der nach einem Suizidversuch drei Jahre im Wachkoma lag, hat er bis zu seinem Tod intensiv gepflegt. Und auch um die Eltern hat er sich immer gekümmert, besonders nach dem Tod des Bruders. Sein anderer Bruder dagegen war immer so was wie das schwarze Schaf der Familie. So sagt er. Den Kontakt zu den Eltern hatte dieser schon vor langer Zeit abgebrochen.
Bis eines Tages auch der Vater pflegebedürftig wird. Nun zeigt der Bruder ein ganz neues Gesicht, berichtet Harald G. Er kümmert sich plötzlich intensiv um die Eltern – zum Erstaunen, aber auch zur Freude von Harald G. Zunächst. Denn nach zwei Jahren wendet sich das Blatt erneut. Als die Mutter stirbt, wird bekannt, dass die Eltern ein Testament zu Ungunsten des Bruders gemacht haben. Schon vor 20 Jahren haben sie ihn quasi enterbt. Als der Bruder davon erfährt, beginnt er, massiv Druck auf den Vater auszuüben, drängt ihn dazu, ein neues Testament und diverse Vollmachten zu unterschreiben. Macht er es nicht, will er ihn ins Heim stecken. Die Drohung wirkt und der Vater unterschreibt.
Für Harald G. beginnt nun eine schwere Krise. Da er in Wien wohnt, kann er den Vater auf dem Land nur alle paar Wochen besuchen. Ansonsten telefoniert er mit ihm. Der Bruder, der im gleichen Ort wohnt, hat inzwischen sämtliche Vollmachten – auch für das Bankkonto des Vaters, von dem er diesem nur wenig "Taschengeld" auszahlt. Die Pflegerinnen, die der Bruder beschäftigt, haben in einem halben Jahr sechs Mal gewechselt. „Er findet einen Grund, sie zu entlassen, sobald sie eine Bindung zu meinem Vater aufbauen“, so G. Eine hat er des Diebstahls bezichtigt. Und auch G. selbst wird von ihm beschimpft, verleumdet und bedroht, sogar mit Mord. "Das Ganze macht mich körperlich und psychisch kaputt“, sagt der 53-Jährige, der selbst gesundheitliche Probleme hat und seinen Lebensgefährten pflegt.
Ums Erben ginge es ihm bei der ganzen Geschichte am wenigsten. „Das Geld ist mir völlig egal.“ Aber dass der Vater offensichtlich unter der Situation leidet und er nicht dagegen einschreiten kann, empfindet er als unerträglich. Schon vor drei Monaten hat er deshalb bei Gericht ein sogenanntes Verfahren zum Erwachsenenschutz angeregt. In Österreich ist das Dank eines neuen Gesetzes möglich. Doch die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Bis jetzt ist nichts geschehen.
Dass Familien sich wegen des Erbes in die Wolle kriegen, ist keineswegs ein Einzelfall. Bei jedem fünften Erbe gibt es Streit, sagt eine Studie des Allensbacher Instituts für Demoskopie . Wie die Geschichte von Harald G. zeigt, kann zwar auch ein Testament nicht immer verhindern, dass es Streit gibt. „Sich frühzeitig mit dem Thema Erbschaft zu befassen, ist aber sehr wichtig, um einem Zwist vorzubeugen“, weiß Jan Bittler, Fachanwalt für Erbrecht.
Wenn die potenziellen Erblasser pflegebedürftig sind, gibt es rund ums Erbe außerdem einige Besonderheiten zu beachten. Zum Beispiel kann, wer seine Eltern oder Großeltern gepflegt hat, dafür beim Erbe einen Obolus bekommen, den sogenannten Erbausgleich für Pflegeleistungen. Da diese Regelung immer wieder zu Unklarheiten und Streitigkeiten führt, rät Bittler aber dazu, besser andere Vorkehrungen zu treffen – zum Beispiel in Form eines Pflegevertrags oder in einem Testament.
Doch was tut das Gesetz, um zu verhindern, dass pflegebedürftige Menschen – wie im Fall von Harald G.'s Vater – im Hinblick auf das Erbe unter Druck gesetzt werden? Zum einen ist es nur unter bestimmten Umständen möglich, Pflegerinnen und Pfleger als Erben einzusetzen. „Damit will der Gesetzgeber verhindern, dass die Abhängigkeit der pflegebedürftigen Person ausgenutzt wird“, so Jan Bittler. Möchte ein Bewohner die Mitarbeiter einer stationären Pflegeeinrichtung oder auch die Einrichtung selbst testamentarisch berücksichtigen, geht das nur im Rahmen eines sogenannten "stillen Testaments". Die Erbschaft ist nur dann rechtens, wenn der Begünstigte erst nach dem Tod von dem Testament erfahren hat. Anders verhält es sich im ambulanten Bereich. Hier können Pfleger grundsätzlich etwas erben.
Wenn man – so wie Harald G. – den Verdacht hat, dass jemand seine Vorsorgevollmacht missbraucht, hat man in Deutschland die Möglichkeit, eine Kontrollbetreuung anzuregen. „Kann man dem Gericht ausreichend Anhaltspunkte dafür geben, dass der Bevollmächtigte nicht im Interesse des Vollmachtgebers handelt, wird das Gericht einschreiten und einen Kontrollbetreuer bestimmen. Ein Recht auf Einschreiten des Gerichts hat man aber nicht. Man kann es nur anregen. Aber man sollte es auch tun“, erläutert Jan Bittler.
Ein anderes Thema ist die Frage nach der Testierfähigkeit. Bestehen konkrete Zweifel daran, dass der Erblasser beim Erstellen des Testaments testierfähig war, kann das Nachlassgericht zur Überprüfung einen Sachverständigen bestimmen – in der Regel ist das ein auf diesem Gebiet erfahrener Neurologe oder Psychiater. „In den meisten Fällen ist der Erblasser schon verstorben, was es sehr schwierig macht, die Sachlage zu beurteilen“, sagt Jan Bittler. „Die Diagnose Demenz begründet noch lange keine Testier- oder Geschäftsunfähigkeit, schon gar nicht im Anfangsstadium“, so der Rechtsanwalt. Demenzkranke könnten, auch wenn das wissenschaftlich umstritten ist, zwischendurch lichte Momente haben. Da im Zweifel für die Testierfähigkeit entschieden wird, gelingt es deshalb in den wenigsten Fällen, ein Testament auf diesem Weg anzufechten. Auch ein Feststellen der Testierunfähigkeit zu Lebzeiten ist nur sehr schwer möglich.
Auch die Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht kann man überprüfen lassen, wenn man Zweifel an der Geschäftsfähigkeit zum Zeitpunkt der Ausstellung hat. In diesem Fall muss man über das Betreuungsgericht gehen. „Auch hier wird dann in der Regel ein Sachverständiger bestimmt, der sich vor Ort ein Bild macht und ein Gutachten erstellt“, so Bittler.
In Zusammenhang mit Verträgen und Vollmachten spricht man von Geschäftsunfähigkeit. Die Testierfähigkeit ist eine Sonderform der Geschäftsfähigkeit und bezieht sich auf den letzten Willen. Die Geschäfts- oder Testierfähigkeit kann eingeschränkt sein, wenn eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorliegt, die die freie Willensbestimmung ausschließt. Das kann z. B. bei geistiger Behinderung, Demenz oder einer anderen psychiatrischen Erkrankung der Fall sein.
Als langjähriger pflegender Angehöriger ist Harald G. sehr gut vernetzt und hat sogar einen Verein mitgegründet: die Interessengemeinschaft Pflegender Angehöriger e. V. Seine Erfahrung: Rund ums Erbe gibt es bei pflegenden Angehörigen sehr oft Streit. Darüber reden wollen aber nur die wenigsten. Er rät allen Betroffenen, sich Hilfe und Rat zu suchen – in Österreich zum Beispiel über die Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger oder in Deutschland über die Interessengemeinschaft „wir pflegen“, die ebenfalls rund um Pflege durch Angehörige berät.
Der Fall von Harald G. sei ein besonders harter, sagt Erbrechtsexperte Jan Bittler. Wie das Gericht in seinem Fall entscheiden wird, bleibt abzuwarten. Aber noch besteht Hoffnung, dass Harald G. über das Erwachsenenschutzgesetz etwas erreichen und seinem Vater letztendlich doch noch einen Lebensabend in Ruhe und Frieden ermöglichen kann.
Der Erbausgleich für Pflegeleistungen sorgt dafür, dass Angehörige für die Pflege beim Erbe einen Ausgleich bekommen können. Das steht in § 2057a BGB.
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