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Wenn Kinder und Jugendliche ihre Eltern pflegen

Große Verantwortung in kleinen Händen

Kategorie: Pflege zu Hause | Aktualisiert am 01.01.2024 | Lesezeit 6 Min.

Wenn Eltern zum Pflegefall werden, sind oft die eigenen Kinder gefordert. Dass diese in vielen Fällen noch minderjährig sind, ist kaum bekannt. Lana Rebhan ist eine dieser jungen Pflegenden. Mit ihrer Plattform young-carers.de möchte sie etwas an der Pflegesituation von Minderjährigen ändern. Sie engagiert sich, um auch aus der Politik Unterstützung zu bekommen.

Lana Rebhan ist acht Jahre alt, als sich ihr Leben verändert: Ihr Vater wird mit einer Lungenentzündung und Nierenversagen ins Krankenhaus eingeliefert. Bald stellt sich heraus, dass er an chronischen Zystennieren erkrankt ist. Er kann nicht mehr arbeiten, muss dreimal die Woche zur Dialyse und mehrere Male im Jahr ins Krankenhaus. Gerade während der Krankenhausaufenthalte muss Lana sich um dem Haushalt kümmern und für sich kochen, denn ihre Mutter arbeitet Vollzeit. Lana wird zu einem „Young Carer“.

"Was ich wirklich schlimm finde, ist, ihn so leiden zu sehen."
Lana Rebhan
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Heute ist Lana 14 Jahre alt. Eine unbeschwerte Kindheit und Jugend konnte sie bislang nicht erleben. Doch es sei nicht die Alltagsbelastung, die Lana am meisten herausfordert. Das mache sie freiwillig und sogar gerne für ihren Vater. „Was ich wirklich schlimm finde, ist, ihn so leiden zu sehen“, sagt sie. „Für Kinder sind Eltern ja immer Superhelden: Sie können alles und sind unkaputtbar. Doch wenn man seinen Vater im Krankenhausbett sieht – das ist schwer zu ertragen.“ Gemeinsam kämpft sich die Familie seither durch den Alltag. 2018 kam der nächste Zusammenbruch von Lanas Papa. Diesmal liegt er mehrere Wochen im Koma auf der Intensivstation. Lana und ihrer Mutter wird klar: So kann es nicht weitergehen. Sie beginnen sich an öffentliche Stellen zu wenden, an Sozialstationen, an das Jugendamt. Damit wählen sie einen Weg, den nur ganz wenige Familien mit pflegenden Kindern oder Jugendlichen bisher gehen.

Die Kraft des Umfelds

In Deutschland steckt die Forschung zum Thema „Young Carers“ noch in den Kinderschuhen. Eine Pionierin ist Sabine Metzing, Professorin für Pflegewissenschaften an der Universität Witten-Herdecke. Sie hat herausgefunden, dass pflegende Kinder und Jugendliche nur selten über die Arbeit sprechen, die sie Zuhause leisten. Dabei gilt: Je größer der Unterstützungsbedarf ist, desto weniger sind pflegende Kinder und Jugendliche in ihrem sozialen Umfeld zu sehen. Dabei können „Young Carers“ ungemein von der Unterstützung durch Lehrer, Nachbarn oder Freunde profitieren, wenn sie über ihre familiäre Situation sprechen würden. Denn vor allem, wenn die Pflege den Alltag dominiert, können nachteilige schulische, emotionale, körperliche und soziale Auswirkungen die Folge sein. Die Belastung der jungen Menschen ist eine mehrfache: Mit der Verantwortung sind sie häufig überfordert, sie müssen sich für die Pflege aus ihrem Freundeskreis zurückziehen und auch noch Schamgrenzen überwinden, wie etwa bei der Intimpflege. So kann der Pflegealltag zu einer kaum zu bewältigenden Aufgabe werden.

Die wichtigsten Fakten über „Young Carers“

„Young Carers“ sind Kinder und Jugendliche, die regelmäßig chronisch kranken, behinderten, sucht- oder psychisch kranken Familienmitgliedern helfen oder diese pflegen. Ihr Tätigkeitsfeld kann in vier Kategorien aufgeteilt werden:

  • Hilfe für die Familie als Gemeinschaft (z. Bsp. Haushalt, Wäsche…)
  • Hilfe für die erkrankte Person (z. Bsp. Pflege – auch emotionale Hilfe wie Trösten und Rücksicht nehmen)
  • Hilfe für gesunde Angehörige (z. Bsp. Geschwister, aber auch dem gesunden Elternteil)
  • Hilfe für sich selbst (z. Bsp. Pausenbrot schmieren…)

Es wird davon ausgegangen, dass in Deutschland über 480.000 pflegende Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahre leben. Wählt man eine größere Altersspanne steigt die absolute Zahl noch. Das bedeutet umgerechnet auf eine Schulklasse: Statistisch gesehen gibt es in jeder Klasse mindestens einen Schüler, der sich zu Hause um einen Angehörigen kümmert .

Quellen: ZQP-Report „Junge Pflegende“ (Zentrum für Qualität in der Pflege, 2017)

Die Notwendigkeit der öffentlichen Wahrnehmung

Dass trotzdem so viele Jugendliche die tagtägliche Belastung hinnehmen, ohne sich Hilfe zu holen, hat einen Hintergrund, wie Ralph Knüttel erklärt. Er ist Mitglied des bayerischen Johanniter-Landesvorstands und beschäftigt sich schon lange mit der Lage junger Pflegender: „Die Angst davor, durch Behörden wie dem Jugendamt aus der Familie gerissen zu werden, hängt wie ein Damoklesschwert über diesen Kindern und Jugendlichen.“ Knüttel hat mit vielen von ihnen gesprochen. Die meisten möchten anonym bleiben und mit ihrer Geschichte nicht an die Öffentlichkeit gehen. Andere sind sich ihrer Pflegerolle gar nicht bewusst. Umso wichtiger erscheint Ralph Knüttel daher eine fundierte Aufklärungsarbeit: „Da sehe ich ganz klar die Politik in der Pflicht. Bisher hat das Thema viel zu wenig Beachtung gefunden.“

"Die Angst davor, durch Behörden wie dem Jugendamt aus der Familie gerissen zu werden, hängt wie ein Damoklesschwert über diesen Kindern und Jugendlichen."
Ralph Knüttel
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Er selbst ist aktiv geworden. Mit einigen Kollegen hat er ehrenamtlich die Internetplattform johanniter-superhands.de initiiert, auf der Betroffene Informationen rund um die Themen Pflege und Krankheitsbilder, aber auch konkrete Hilfestellung erhalten. Die Internetseite möchte auch Erzieher und Lehrer für das Thema sensibilisieren, wie Knüttel betont: „Viele betroffene Kinder und Jugendliche werden in der Schule von ihren Mitschülern gemobbt, weil sie zum Beispiel nicht mit ins Kino gehen können oder andere soziale Aktivitäten absagen müssen. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr über ‚Young Carers‘ gesprochen wird, beispielsweise im Sozialkundeunterricht. Dann würden die Mitschüler verstehen, mit welchen Problemen ihre Klassenkameraden teilweise zu kämpfen haben.“

Die Pflicht der Politik

Dass es noch andere Kinder und Jugendliche in ihrer Situation gibt, wusste Lana lange Zeit nicht. Sie hat sich an die Lehrer ihrer Schule gewendet, als ihr Vater im Koma lag und sie von anderen öffentlichen Stellen keine Hilfe erhielt: „Dann ist es mir aber zu viel geworden und ich habe das Gespräch mit meinen Lehrern abgebrochen. Ich wurde danach nie wieder darauf angesprochen.“ So müssen ihre Mutter und sie die Monate, während ihr Vater im Krankenhaus liegt, eigenständig überbrücken. Lana kocht und kümmert sich um den Haushalt, während ihre Mutter zwei Jobs ausführt, um die Familie finanziell über Wasser zu halten.

"Ich kann an meiner Situation nichts mehr ändern und meinen Vater nicht gesund machen. Ich kann mich aber für die nächste Generation einsetzen. Dann hat meine Erfahrung einen Sinn ergeben."
Lana Rebhan
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Eines Nachmittags steht Lana am Bett ihres Vaters, als er aufwacht. „Er war so glücklich mich zu sehen und fing an zu weinen“, erzählt sie, „ich habe meinen Papa zuvor noch nie weinen sehen." In diesem Moment traf Lana die Entscheidung, ihre familiäre Situation nicht mehr zu verstecken und wendet sich an die Öffentlichkeit. Zunächst startet auch sie gemeinsam mit ihrer Mutter eine Internetplattform: Mit young-carers.de möchte sie pflegende Kinder und Jugendliche miteinander vernetzen und ihnen mit Rat und Tat beiseite stehen. Um Unterstützung für ihr Vorhaben zu erhalten, schreibt Lana rund 270 Kommunen, Stellen der Wohlfahrtspflege und Krankenkassen in Bayern an.

Nachdem sie nur wenige Antworten erhalten und auch Politiker kontaktiert hat, wird sie in den bayerischen Landtag eingeladen. Dort hält sie im Sozialausschuss einen Vortrag über ihre Situation, verbunden mit konkreten Forderungen. Ihr Ziel ist es, ein anderes Bewusstsein in der Gesellschaft zu schaffen: „Ich wünsche mir, dass jedes Kind, das sich öffnet und nach Hilfe sucht, auch welche bekommt. Ich kann an meiner Situation nichts mehr ändern und meinen Vater nicht gesund machen. Ich kann mich aber für die nächste Generation einsetzen. Dann hat meine Erfahrung einen Sinn ergeben.“

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Quelle: Lana Rebhan

Von Vorbildern lernen: „Young Carers“ in Großbritannien

In Großbritannien leben über 800.000 „Young Carers“. Im Gegensatz zu Deutschland haben Kinder und Jugendliche mit Pflegeverantwortung vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten und werden von der Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsträgern weit mehr wahrgenommen. Der Young Carers Awareness Day stellt beispielsweise jährlich die Situation von Kindern und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung in den Fokus. Seit 2014 haben sie außerdem konkrete, gesetzlich festgelegte Rechtsansprüche und können aus vielen Angeboten und Maßnahmen wählen.

Hilfsangebote für pflegende Kinder und Jugendliche

www.johanniter-superhands.de

Die Internetplattform bietet Informationen und Tipps rund um die Themen Krankheitsbilder, Pflege und aktuelle politische Entwicklungen. Betroffene erfahren auch, was bei einem Notfall zu tun ist. Das Angebot wird mit einer anonymen Telefonhotline abgerundet, die immer dienstags und donnerstags von 15 bis 17 Uhr erreichbar ist. „Young Carers“ finden hier ein offenes Ohr, wenn sie über ihren Alltag oder die Schule sprechen möchten. Über die Telefonhotline kann jedoch auch ganz konkret beraten und geholfen werden, beispielsweise zu Fragen des Pflegegelds, zur Kurzzeitpflege oder der nächsten regionalen Anlaufstelle.

www.pausentaste.de

Das Beratungsportal ist ein Angebot des Bundesfamilienministeriums in Zusammenarbeit mit „Der Nummer gegen Kummer“. Hier finden Kinder und Jugendliche mit Pflegeverantwortung ein offenes Ohr – telefonisch oder online. Außerdem werden junge Menschen portraitiert, die ein Familienmitglied pflegen.

www.young-carers.de

Die von Lana Rebhan entwickelte Internetseite bietet vielfältige Informationen zu Hilfsangeboten für „Young Carers“ und stellt Erfahrungsberichte junger Pflegender vor. Auch Botschafter aus Politik und Gesellschaft kommen auf ihrer Seite zu Wort. Aktuelle politische Entwicklungen im jeweiligen Bundesland werden zusammenfassend vorgestellt.

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